Zwänge: Psychotherapie

Die Psychotherapie gehört inzwischen zu den wichtigsten Behandlungsmethoden für Zwänge. Zumeist wird dabei eine so genannte Verhaltenstherapie, auch Kognitive Verhaltenstherapie bzw. Kognitiv-behaviorale Therapie genannt, durchgeführt, die sich aus mehreren Elementen zusammensetzt:


Beginn der Behandlung / Kennenlernen

Zu Beginn der Therapie geht es zunächst einmal darum, dass sich PatientIn und TherapeutIn gegenseitig kennenlernen. Es ist dabei hilfreich, wenn die Betroffenen zunächst aus ihrer Sicht den Therapeuten schildern, was sie in der letzten Zeit belastet hat, und seit wann sie zum Beispiel Zwänge kennen. Der Therapeut wird dann den Patienten üblicherweise erst einmal berichten lassen und an einigen wichtigen Punkten eventuell noch einmal nachfragen, falls es Unsicherheiten gibt.

Die meisten Krankenkassen genehmigen deswegen am Beginn der Therapie zunächst einmal bis zu vier so genannte probatorische Sitzungen, in denen der Schwerpunkt ganz besonders auf diesem “Kennenlernen” liegt - damit der Patient für sich herausfinden kann, ob er längerfristig mit diesem Therapeuten / dieser Therapeutin zusammenarbeiten kann, und damit die Therapeuten beurteilen können, ob sie ihrem Klienten mit den Möglichkeiten der Verhaltenstherapie wirksam helfen können.

Verhaltenstherapie

Psychoedukation

Ein wichtiger Baustein in der Verhaltenstherapie ist zunächst die “Psychoedukation”. Die Betroffenen (und wenn möglich auch ihre Angehörigen) sollten darüber aufgeklärt werden, was ein “Zwang” überhaupt ist, woher die Zwänge kommen und wie Zwänge behandelt werden. Dies ist besonders wichtig, da Zwänge häufig sehr schambesetzt sind und die Betroffenen oftmals versuchen, ihre Zwänge zu verbergen.

Bei ausgeprägten Zwängen kommt es auch häufig vor, dass die Betroffenen ihre Angehörigen bewusst oder unbewusst mit in ihr Zwangsgebäude einbinden und ihnen bestimmte Aufgaben übertragen. Deswegen sollten im Verlauf der Therapie wenn möglich auch die Angehörigen durch den Betroffenen und/oder seinen Therapeuten über diese Erkrankung aufgeklärt werden.

Jeder Mensch hat immer mal wieder aufdrängende Gedanken, so genannte “Normal Obsessions”. Aus diesen Gedanken entsteht normalerweise keine Zwangstörung, weil sie keine Ängste auslösen und deswegen auch keine Neutralisierung erforderlich machen. Der gesunde Umgang mit diesen Gedanken besteht darin, die Gedanken nicht zu bewerten sondern sie zu ignorieren (“Internale Löschung”). Die Zwangserkrankten erleben ihre Gedanken jedoch häufig als sehr bedrohlich oder angstauslösend. Diese emotionale (“affektive”) Bewertung der aufdrängenden Gedanken kann dazu führen, dass die Betroffenen in den Druck geraten, ihre Gedanken durch die Zwänge “neutralisieren” zu müssen. Da diese “Neutralisierung” der Gedanken zumindest kurzfristig eine Reduktion der Anspannung bringt, kann sich hieraus ein “Lerneffekt” entwickeln, der schließlich in eine Zwangsstörung münden kann.

Da die Betroffenen häufig eine Erleichterung ihrer Angst oder Unruhe erreichen, wenn sie ihren Zwang ausführen, werden Zwänge zunächst oft als eine (unbewusst) hilfreiche Strategien im Umgang mit den Sorgen und Befürchtungen erlebt. Die Zwänge verlieren aber diese Funktion meistens im Verlauf, wodurch eine Art Suchteffekt entstehen kann. Die Betroffenen müssen dann “immer mehr” desselben Zwanges durchführen, also zum Beispiel immer länger und komplizierter Händewaschen, oder immer kompliziertere neue Zwänge entwickeln. Deswegen ist es wichtig, dass die Betroffenen zwischen den kurzfristigen (oft positiven) und langfristigen (negativen) Konsequenzen der Zwänge unterscheiden lernen.

Weiterlesen: Fachinformation Zwangstörungen: Kognitives Modell nach Salkovskis

Viele Betroffenen setzen ihr Denken gleichbedeutend mit Handeln (“Wenn ich nur an etwas bestimmtes denke, dann wird ... passieren!.”), die sogenannte Gedanken-Handlungs-Verschmelzung, auf Englisch “Thought-Action-Fusion” genannt. Diese “magische” Verknüpfung muss mit den Betroffenen überprüft und wenn möglich aufgelöst werden.

Für die Betroffenen ist wichtig, dass sie wieder zwischen aufdringlichen Gedanken, die potentiell bedrohlich sind (und die jeder Mensch hat), und der Bewertung dieser Gedanken als tatsächlich bedrohliche und moralisch verwerfliche Gedanken, die unbedingt neutralisiert werden müssen, unterscheiden können. Auch sollten die Betroffenen prüfen, ob die Häufigkeit oder die Folgen der von ihnen “befürchteten” Katastrophe wirklich in dem von ihnen befürchteten Umfang realistisch sind.

Die Psychoedukation soll den Betroffenen auch bei der emotionalen Distanzierung helfen, indem sie lernen, dass die Zwangsimpulse Ausdruck einer psychischen Erkrankung sind (gegen die auch therapeutisch angegangen werden kann) und nicht etwa ein “Zeichen, dass ich verrückt werde...”, wie viele Betroffenen insgeheim befürchten.

Zwangsprotokolle

Ein wichtiges Therapieelement sind die Zwangsprotokolle. Die Betroffenen dokumentieren darin die bei ihnen auftretenden Zwänge und die mit diesen verbundenen Befürchtungen und Konsequenzen, um diese im Anschluss mit ihrem Therapeuten / ihrer Therapeutin zu analysieren und alternative Denk- und Verhaltensweisen zu entwickeln.

Verhaltensanalyse

Parallel zur Informationsvermittlung erarbeiten die Therapeuten gemeinsam mit den Betroffenen eine so genannnte Verhaltensanalyse. In der Verhaltensanalyse wird zum Beispiel analysiert, welche Faktoren die Zwänge auslösen und aufrecht erhalten können, was die Zwänge verstärkt und was sie vielleicht auch abmildert. Die Verhaltensanalyse kann darüber hinaus auch bereits als “Therapie” eingesetzt werden, denn vielen Betroffenen fällt es sehr viel leichter, sich ihren Zwängen zu stellen, wenn sie wissen, was sich hinter diesen verbirgt.

Zwangshierarchie

Die Betroffenen erarbeiten zusammen mit ihren Therapeuten eine sogenannte Zwangshierarchie. Dies ist eine “Rangliste”, in der die Zwänge je nach Grad der ausgelösten Unruhe eingeteilt werden. Die Zwangshierarchie ist wichtig für die Durchführung der Zwangsexpositionen (siehe unten).

Alternativverhalten

Die Therapeuten erarbeiten mit den Betroffenen ein gesünderes Alternativverhalten. Dies ist wichtig, da die Zwänge ja oft im Hintergrund eine ganz sinnvolles Ziel haben, zum Beispiel die Gesundheit der Familie zu erhalten oder die Kontrolle über schwierige Situationen zu behalten. Nur leider sind die Zwänge meistens diesem - eigentlich wichtigen - Ziel langfristig nicht zuträglich, sondern können es stattdessen sogar negativ beeinflussen.

Entkatastrophisierung und Realiätskontrolle

Im Rahmen der Entkatastrophisierung und Realitätskontrolle erarbeiten die Betroffenen zusammen mit ihren Therapeuten, wie wahrscheinlich die von ihnen befürchteten Konsequenzen wirklich eintreten.

Expositionen

Nahezu das wichtigste (und für Betroffene und Therapeuten anstrengendste) Behandlungselement sind die Expositionen. In der Zwangsbehandlung hat sich dazu die sogenannte Technik der Graduierten Exposition mit Reaktionsmanagement etabliert. In dieser versuchen die Betroffenen, sich - zunächst zusammen mit ihren Therapeuten und später auch eigenständig - ihren Zwangsimpulsen “auszusetzen” (zu “exponieren”).

Das Ziel der Expositionen ist, dass die Betroffenen wieder erlernen, wie sie die aufkommenden Gefühle (wie z.B. Angst und Hilflosigkeit), Gedanken (z.B. Sorgen und Schuldvorwürfe) und Körperreaktionen (z.B. Anspannung, Schwindel) auch ohne die Durchführung der Zwänge (über-)leben können.

Vor der Durchführung der Expositionen wird zunächst anhand der Zwangshierarchie (siehe oben) für die erste Exposition eine Situation im mittleren Anspannungsbereich bei einer Intensität von ca. 40 bis 50% ausgewählt (deswegen “graduierte” Exposition, im Gegensatz zum sogenannten “Flooding”, bei dem mit der schwersten Situation begonnen wird). Vor der Exposition erfragt der Therapeut / die Therapeutin die Grundanspannung des Betroffenen auf einer Skala von 0 bis 100. Die Betroffenen versuchen dann mit Unterstützung durch die Therapeuten, das im Vorfeld erarbeitete neue, zwangsfreie Verhalten in dieser Situation umzusetzen und keine Zwänge oder Rituale einzusetzen.

Wichtig ist, dass die Betroffenen in der Exposition ihre Anspannung direkt erleben und nicht nur “aushalten”, denn nur so können sie wieder erlernen, dass sie selbst die Kontrolle über ihre emotionalen, gedanklichen und körperlichen Reaktionen haben (deswegen “Reaktionsmanagement”). Nach Überschreitung des Spannungshöhepunktes klingt die Anspannung häufig von selbst ab. Die Expositionen sollten so oft wiederholt werden, bis alle Zwänge ausreichend überwunden sind.

Falls die Anspannung auch während einer längeren Exposition nicht von alleine absinkt, kann es sein, dass die Betroffenen Vermeidung einsetzen, dies meistens nicht aus Absicht, oft sogar, ohne es zunächst selbst zu bemerken. Mögliche Vermeidungsstrategien sind:

Das kurzfristige Ziel der Exposition ist eine Reduktion der Anspannung um mindestens 30 Intensitätspunkte. Langfristige Ziele sind u.a. das Erlernen des gesunden, zwangsfreien Verhaltens und damit der Abbau der Zwänge und der Wiedergewinn der Lebensqualität.

Weiterlesen:
   • Expositionstraining bei Zwängen

Ausührliche Informationen zum Thema Expositionen finden sie auch im Artikel Expositionstraining.

Paar- und Familientherapie

Genauso wie die Betroffenen selbst, sind häufig auch ihre Angehörigen von den Dimensionen der Zwangserkrankungen überwältigt. Die Reaktionen der Angehörigen können dann von Rat- und Hilflosigkeit bis hin zu Unverständnis und Aggressivität reichen.

Insbesondere bei schweren Zwangserkrankungen kommt es auch häufig vor, dass die Betroffenen ihre Angehörigen mit in ihre Zwangsgebäude einbeziehen, indem sie z.B. ihren Angehörigen bestimmte Aufgaben übertragen (wie z.B. die Haustür noch einmal nachzukontrollieren), indem sie die Angehörigen in ihre gedankliche Vermeidung einbeziehen (“...meine Frau wird schon aufgepasst haben...”) oder indem die Angst und Sorge um die Angehörigen ein Auslöser für die Zwangshandlung wird (“..ich muss den Schlüssel anfassen, damit meiner Mutter nichts passiert...”).

Aufgrund dieser engen Einbindung der Angehörigen in die Zwangserkrankung und die zunächst für „Nicht-Fachleute“ wenig nachvollziehbare Psychopathologie, ist gerade bei Zwangserkrankungen die Einbeziehung der Angehörigen im Rahmen von Paar- und Familiengesprächen sehr wichtig.

Da die Erkrankung für die Betroffenen sehr schambesetzt sein kann, ist es oft hilfreich, wenn die Angehörigen Informationen über die Erkrankung “von einem Arzt” erhalten, und der Betroffene dadurch sozusagen eine glaubhafte “wissenschaftliche Erklärung” für seine Symptomatik bekommen kann. Im Sinne der emotionalen Distanzierung kann alleine die Information über das Krankheitsbild und über die Zusammenhänge zwischen neurobiologischen Veränderungen und psychischen Symptomen die zum Teil erhebliche emotionale Belastungen der Betroffenen und Angehörigen häufig bereits deutlich verbessern.

Die Angehörigen sollten auch deswegen in die Therapie mit einbezogen werden, damit sie in der Expositionsphase Verständnis für die Betroffenen haben - und damit vorgebeugt ist, dass die Angehörigen nicht aus falsch verstandener “Unterstützung” heraus den Betroffenen während der Exposition die wichtigen schweren Übungen “abnehmen” (“...lass mich mal helfen...”).

Weiterlesen:
   • Was können Angehörige bei Zwängen tun?

Kognitiv-behaviorale Therapie von Zwangsgedanken

Ausührliche Informationen zur Kognitiv-behavioralen Therapie von Zwangsgedanken finden sie im Artikel "Wie kann ich Zwangsgedanken loswerden?".

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